Kritischer Medienkonsum als christliche Pflicht

Mehr noch als ein Hungerfasten ist heute ein kritischer Medienkonsum nötig, schreibt der Geschäftsführer der Inländischen Mission (IM), Urban Fink, im Editorial der aktuellen Ausgabe des IM-Magazins.

Die Fastenzeit will uns Christinnen und Christen auf unser höchstes Fest, die Auferstehung Jesu Christi, vorbereiten. Sie will uns das nahelegen, was im Jahr 2025 der rote Faden aller zwölf Monate ist: Umkehr zu mehr Glauben, Gerechtigkeit und vor allem zu mehr Hoffnung.

In früheren Zeiten bis vor etwa 100 Jahren, als der Vorrat an Lebensmitteln in den Wintermonaten knapp wurde, bildeten das Fasten und anderer Verzicht die Grundlage dieser Vorbereitungszeit. Angesichts des heute bei uns üblichen Überflusses an Lebensmitteln geht dieser leibliche Verzicht weitgehend verloren. Die Weihnachtszeit mit ihren Süssigkeiten verschiebt sich in den Advent, und zu Beginn der Fastenzeit lösen die Osterhasen in den Lebensmittelgeschäften ohne Unterbruch die Fasnachtküchlein ab.

Zurückhaltung und Verzicht kann man aber in anderen Lebensbereichen ausüben, so etwa beim Medienkonsum. Wenn man vor 50 Jahren eine Zeitung aufschlug, wusste man noch, was einen erwartete: Bei den damals noch parteipolitisch oder weltanschaulich ausgerichteten Tageszeitungen wurde schnell klar, wie deren Ausrichtung war. Grosse Inserateeinnahmen hielten die Druckpressen am Laufen, und die damals noch recht vielen Abonnenten garantierten den Zeitungsabsatz.

Aufgrund der zunehmenden Kommerzialisierung und Internationalisierung der Medienmärkte und wegen der Konkurrenz durch das Fernsehen setzte in den 1960er-Jahren durch Fusionen und den Aufbau von Kopfblattsystemen eine Zeitungskonzentration ein, die später noch stärker wurde. Diese Konzentration führte zum Niedergang der partei- und konfessionsgebundenen Presse. Forumszeitungen nehmen nun ihre Stelle ein, bei denen nicht mehr die Meinung oder eine gute Recherche, sondern die Verkaufszahlen das Wichtigste sind.

Mit dem 1995 auch in der Schweiz einsetzenden Internetboom wurde das mediale Koordinatensystem neu aufgestellt. Der Zugang zu Informationen wurde wesentlich einfacher, setzt aber neue Kompetenzen voraus. Dies wurde durch die Einführung des Smartphones, das den mobilen Internetzugang überall ermöglicht, noch verstärkt. Seither schauen Fussgänger mehr aufs Handy als auf den Verkehr.

Die neuen sozialen Medien wie das 2004 gegründete Facebook, Instagram, Whatsapp, der Mikrobloggingdienst X (vormals Twitter) und das chinesische TikTok sind mit ihrer enormen Reichweite Geldmaschinen, in welche die Werbung mehrheitlich abgewandert ist, während gedruckte Medien ihre Inserateeinnahmen grösstenteils verloren haben. Viele Redaktorinnen und Redaktoren wurden entlassen, und die vielen Kopfblätter liefern einen «Einheitsbrei». Das Lokale und Regionale geht verloren, damit auch ein Stück Heimat und die Bindung an
die eigene Lebenswelt.

Die oftmals gratis zur Verfügung gestellten sozialen Medien greifen persönliche Informationen ab, die für die personalisierte Werbung verwendet werden. Hinter den sozialen Netzwerken stehen wirtschaftliche Interessen. Sie nutzen Algorithmen, um uns möglichst lange online zu halten. Sie machen süchtig und beeinträchtigen so die Gesundheit und die Konzentrationsfähigkeit, ja sie sind nicht selten ein effizientes Mittel für Desinformation und Fake-News, die sich auf politische Prozesse, Wahlen und Kriege auswirken. Wichtig sind Aufregung, schrille Meinungen, nicht Information und kluges Abwägen. Das hat sich auch auf gewisse kirchliche Medien ausgewirkt, wo hohe Klickzahlen das Ziel sind und im Einzelfall falsche Narrative munter weiterverbreitet werden. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der «1002 Missbrauchsfälle» in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz, das mit der Veröffentlichung des ensprechenden Pilotberichts am 12. September 2023 aufgebaut wurde. Da wäre es korrekt gewesen, von 1002 Verdachtsfällen zu sprechen. Erst genauere Untersuchungen werden zeigen, ob die 1002 Verdachtsfälle wirklich alle Missbrauchsfälle sind.

Es ist kein Zufall, dass einer der besten deutschsprachigen Medienkenner, der Freiburger Roger de Weck, mit seinem Buch «Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalisums vor den Medien retten müssen» vor den Medien warnt und sich für einen Journalismus einsetzt, welcher der Wahrheitssuche verpflichtet ist, Diskussionen ermöglicht und so eine Stütze der Demokratie ist. Was ist das Fazit in der gegenwärtigen Mediensituation, besonders nach der anregenden Lektüre von Roger de Wecks «Trotzdem»? Heute ist mehr noch als ein Hungerfasten ein kritischer Medienkonsum nötig.

Ich wünsche Ihnen eine besinnliche und nachdenkliche Fastenzeit, die uns hoffnungsvoll auf Ostern zuführen möge.

Herzlich, Ihr
Urban Fink-Wagner, Geschäftsführer IM

Roger de Weck: Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen. (edition suhrkamp 2863). Berlin 2024, 224 Seiten. ISBN 978-3-518-12863-3

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