«Une petite merdeuse» – «ein Dreckskind»

Ein Ort der Heilung von Leib und Herz, wo sich Menschen demütig mit ihren Bitten an die Gottesmutter wenden, so beschreibt das Wallfahrtsbüro den berühmten Ort in den Pyrenäen. Der Pfarreiblattredaktor machte sich auf die Suche nach dem Geheimnis von Lourdes – Erfahrungen einer Reise.

Klaus Gasperi

«Wollen Sie die Güte haben, über 15 Tage lang hierherzukommen?», so vernahm die 14-jährige Bernadette Soubirous die Stimme der sehr schönen Frau, die ihr an der Grotte von Massabielle, am Müllplatz des Ortes Lourdes, erschien. Das junge Mädchen war ganz gebannt von dieser Begegnung, die ungewohnt höfliche Anrede schien sie nicht sehr zu verwundern, obgleich das Mädchen mit ihrer Familie im ehemaligen Gefängnis im grössten Elend lebte und nicht sonderlich höflich behandelt wurde. Sie galt ja auch als strohdumm, erst vor kurzem hatte ihr der Pfarrer die Erstkommunion verweigert, weil sie zurückgeblieben und unreif schien. Warum also hatte sich die «über alles schöne Frau» gerade dieses Mädchen ausgesucht?

Darauf nun kann wohl niemand Antwort geben, nicht einmal die Priester. Das Staunen muss genügen, das Wissen, dass Gott es liebt, ganz am Rande in der Armut, bei den Übergangenen und Verachteten und den Zu-kurz-Gekommenen zu erscheinen. So war es schon in Bethlehem gewesen und so erinnerte heutzutage auch der Papst immer wieder daran, man solle «uscire», also hinausgehen zu den Verlassenen.

Ein Pilgerziel für Menschen aus aller Welt

Das Auffälligste an Lourdes, diesem Wallfahrtsort in den Pyrenäen, sind die sechs Millionen Pilger*innen, die Jahr für Jahr aus aller Herren Länder herbeikommen, aus Mexiko, Indien oder besonders farbenfroh und singend durch die Gassen tanzend, die Frauen von der afrikanischen Elfenbeinküste.

«Was für ein Trubel, was für ein Kommerz hier doch herrscht!», warnt die skeptische Stimme. Das konnte die Dame, die sich erst spät als «unbefleckte Empfängnis» zu erkennen gab, doch nicht gemeint haben! Das Mädchen jedenfalls verstand gar nicht, was das nun wieder bedeuten sollte, und auch wir Heutigen tun uns schwer, diese komischen Worte zu fassen: «Que soy era immaculada councepciou».

Aber wenigstens der Ortspfarrer und der Papst wussten nun Bescheid, wer diese Dame war, die sich in der Grotte von Lourdes zeigte. Und die Umstehenden erschraken, als sie sahen, wie das Mädchen den Boden aufkratzte und eine Quelle freilegte. «Une petite merdeuse», sagten sie, «ein Dreckskind». Wie gesagt, wir wissen es nicht, was die Gottesmutter bewogen hat, sich diesem «Dreckskind» zu zeigen.

«Ich zwinge Sie nicht, mir zu glauben, ich kann Ihnen nur sagen, was ich gesehen habe», sagte Bernadette im Verhör. Bild: zVg

Intime Momente – die Waschung

Was wir aber wissen ist dies: Noch heute kommen Menschen an diesen Ort, um sich im Wasser der Quelle vor dem Antlitz der Gottesmutter zu waschen. Ein Moment von berührender und inniger Intensität. Jesus hatte einst zu Petrus gesagt: «Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.» Und Petrus antwortete: «Herr, dann nicht nur meine Füsse, sondern auch die Hände und das Haupt.» (Joh 13,8).

Gewiss, man muss sich erst hindurchkämpfen in Lourdes, durch den Trubel, durch den Kommerz, die Stille ist dort schwer zu finden, aber wenn man den Kranken folgt, die den Weg zur Grotte gehen oder auf Liegen geschoben werden, und den vielen Menschen, die morgens wie abends zum Gebet hierherkommen und in langen Prozessionen das «Ave» singen, dann mag es auch den Zweifelnden und Traurigen geschenkt sein, dass sie an die Gnade rühren und von Neuem an das Heilsein glauben. Und so scheint es auch den Pilgern aus aller Welt zu ergehen, wenn man ihrer Heiterkeit und ihren zufriedenen Gesichtern glauben darf.

»Ich verspreche Ihnen nicht, Sie in dieser Welt glücklich zu machen, sondern in der anderen», sagte die schöne Dame noch zu dem Mädchen. Es schien die 14-jährige nicht sehr zu stören, dass es mit dem irdischen Glück nichts wurde. Sie vertraute und wusste um etwas Grösseres, sie hatte es ja «gesehen». Aber die Erfahrung, dass man manchmal und für kurze Zeit etwas von jenem Grösseren schon heute erfahren durfte, das war doch auch schön und ein kostbares Mitbringsel aus Lourdes.

Zum Nachlesen und Nachschauen:

Franz Werfel, Das Lied von Bernadette. Roma
Lourdes. Ein Film von Jessica Hausner (2009).

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Den Fels der Grotte berühren, sich das Gesicht waschen, in langen Prozessionen betend und
singend dahinziehen – in Lourdes steht das sinnlich-körperliche Beten im Vordergrund. Bild: gas

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